Die Soziologie hinter einem Amoklauf
2. August 2012
von Claudia Marion Amann
Seine Erkenntnisse über die emotionale Dynamik von Situationen verdankt Collins neuen Technologien, die Eingang in die soziologische Methodik gefunden haben: „Analysiert man Amateurvideos, die gewaltsame Ausschreitungen zeigen,“ erklärt er, „stellt man fest, dass sich Angst und Anspannung auf den Gesichtern der Angreifer abzeichnen. Das widerlegt die gängige Annahme, Gewalt basiere auf Ärger oder Wut.“
„Alle Typen von Gewalt“, schrieb er auch in seinem neuesten Werk über Gewalttätigkeit, „umgehen Angstbarrieren, die Menschen in antagonistischen Konfrontationen normalerweise entwickeln, auf ähnliche Weise.“ Collins interessiert nicht die Psyche gewalttätiger Individuen. Es geht ihm um Gewaltsituationen in einer Gesellschaft, um „emotionale Tunnel“, die fast notwendig zu Gewalt führen. Wie aber kann man so eine Situation beenden?
Laut Collins, indem man in direkte Interaktion mit dem Angreifer tritt: „Solange eine große Distanz zwischen Aggressor und seinen Opfern herrscht, sind die Barrieren, die ihm Einhalt bieten könnten, zu gering. Je näher ein Attentäter mit Schusswaffe seiner Zielperson kommt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sie verfehlt.“
Auch ein Amokläufer wie James Holmes jüngst in Aurora, USA, hat, wenn er seinen potentiellen Opfern gegenübersteht, erst einmal Anspannung oder Angst zu überwinden. Gasmasken, wie bei Holmes, isolierten den Täter und schufen Distanz, so Collins. Typischerweise seien Amokläufer Einzelgänger. Emotionale Energie schöpften sie aus eigenen, man möchte ergänzen eigenartigen, Ritualen, wie Waffen in ihre privaten Verstecke zu schmuggeln oder sie in der Öffentlichkeit unbemerkt herumzutragen.
Jedoch, das gab Collins in seinem Vortrag auch zu bedenken, bedeutet die Beendigung der Gewalt nicht die Beendigung des Konflikts. Von den viel diskutierten schärferen Waffengesetze hält er daher nichts.
Mit dem Thema der „Cultures of Emotion“ beschäftigt sich die Meisterklasse 2012, die Bernhard Giesen, Professor für Makrosoziologie an der Universität Konstanz, noch bis 31. Juli in Konstanz durchführt. In Vorträgen und Diskussionen gehen Nachwuchswissenschaftler zusammen mit den so genannten „Meistern“, renommierten Professoren aus dem In- und Ausland (neben Randall Collins der Historiker Gerd Althoff von der Universität Münster, die Konstanzer Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und der Soziologe Alois Hahn von der Universität Trier) den gesellschaftlichen Dimensionen von Gefühlen auf den Grund.